Das Frontalhirn nutzen: Eine Anleitung für konstruktives Kritisieren


Ein Gastbeitrag von Michaela Faulhammer

Als ich kürzlich im Rahmen eines Coachings eine Führungskraft gefragt habe, wie sie auf eine sogenannte „Minderleistung“ reagieren würde, war die ganz „einfache“ Antwort wie folgt: „Ich sag´ einfach was nicht passt“. Soweit so gut habe ich mir da gedacht. Gesteuert von Beratungsziel und -auftrag forschte ich weiter nach, in welcher Zeitlichkeit dies denn passieren würde, und bekam dann ein spontanes „Na sofort, weil ich ärgere mich ja über sowas“ zur Antwort.

Wie denn dies dann zur Sprache gebracht werden würde, interessierte mich als nächstes – und da der Kunde mir seine Erfahrung in solchen Gesprächen zusicherte, lud ich ihn ein, dieses Gespräch mit mir zu simulieren. Ich bat die Führungskraft darum, mir kurz das Problem zu schildern (es handelte sich um das Abliefern „minderwertiger“ Reports und die Verweigerung der Nachbesserung derselben).

In der Simulation entspann sich in etwa folgender Dialog:

Führungskraft: „Ich hab Ihnen schon mehrmals gesagt, dass die Qualität Ihrer abgelieferten Reports nicht in Ordnung ist und nun legen Sie mir wieder ein Schriftstück vor, das ich überarbeiten muss. Ich hab´ doch selbst soviel zu tun und kann nicht jedes Mal die von Ihnen gelieferten Unterlagen nachbessern. Außerdem wissen Sie, dass ich das morgen brauche. Setzen Sie sich also bitte nochmals hin und liefern Sie das in einer Qualität, die geeignet ist, dass ich das Ergebnis morgen früh dem Management-Team vorlegen kann.“

Ich (die ich die Mitarbeiterin simulierte): „Ich hab´ es doch genauso gemacht wie in der Vergangenheit auch und nun hab ich wirklich keine Zeit mehr, das nochmals zu überarbeiten. Sie wissen ja, dass ich auch noch einige Grafiken machen muss und da sitz´ ich eh schon bis in die späten Abendstunden.“

Führungskraft (sichtlich aufgebrachter als zuvor): „Das ist ja das Problem, dass Sie das so gemacht haben wie in der Vergangenheit, deshalb passt es ja wieder nicht. Das kann schon sein, dass Sie jetzt noch länger sitzen, aber ich geh´ ja auch nicht um fünf Uhr nach Hause und genieße den Feierabend. Wir sitzen doch alle im selben Boot und Zusammenhalt ist doch wohl etwas, das ich von meinen Mitarbeitern erwarten kann und Ihnen wichtig sein muss!“

Ich (angeregt, dieser Diskussion etwas Zündstoff zu liefern): „Na klar sitzen wir im selben Boot, das bestreitet ja niemand, aber wenn Sie mir vorwerfen dass ich nichts für den Zusammenhalt beitrage, dann möchte ich eben mal auf die Arbeiten hinweisen, die ich im vergangenen Monat – übrigens fast immer nach Dienstschluss – sonst noch erledigt habe!“

An dieser Stelle war klar, dass dieses Gespräch ewig so hätte weitergehen können und wir über kurz oder lang in wechselseitigen Beschuldigungen und Endlosschleifen gelandet wären – aber mit Sicherheit nicht bei einem Ergebnis namens „verbessertes Reporting“.


Einführung in die Erkenntnisse der Neurobiologie

Was war passiert? Um das verstehen zu können, möchte ich Sie kurz in die Erkenntnisse der Neurobiologie einführen (ich beziehe mich auf Ausführungen von Gerald Hüther und Joachim Bauer):

Keine Frage, unser Hirn ist hochkomplex aufgebaut und anatomisch könnte ich jetzt von Groß- und Kleinhirn, Hirnlappen, Synapsen, usw. sprechen. Aber da ich hier in ExpertInnenbereichen wildern würde, die ich bestenfalls stümperhaft wiedergeben können würde, versuche ich einen einfacheren Weg und entlehne sinngemäß Ausführungen von Gerald Hüther und Joachim Bauer, die den Aufbau des Hirns mit einer Zwiebel vergleichen.

Im innersten Kern befindet sich das Stammhirn, auch als „Reptiliengehirn“ bezeichnet. Mit diesem „Hirn“ können wir unter Druck das, was auch ein Reptiliengehirn kann: Kämpfen, flüchten oder tot stellen. In der nächsten Schicht regiert das sogenannte „Mittelhirn“. Das hat dann schon ein bisschen mehr im Angebot, denn hier sind die Emotionen und die damit angelernten Verhaltensmuster gespeichert. Immer wenn uns also etwas berührt (positiv wie negativ – Ärger oder Freude) scannt das Gehirn nach Verhaltensmustern, die es schon kennt und greift auf diese zurück. Dazu gehören im Ärger Muster wie überreden, schmeicheln, warnen und drohen, trotzen – und alles was wir uns halt so im Laufe unseres Erwachsenwerdens angelernt haben. Gerald Hüther vergleicht dies mit der Intelligenz einer Katze.

Doch es gibt Rettung in der Not, und diese heißt „Frontalhirn“, Schicht Nummer drei. In diesem liegen Fähigkeiten wie etwa Kosten-Nutzen-Analyse, Empathie, langfristige Handlungsplanung, Antizipationsfähigkeit, etc. Also eigentlich alles was wir brauchen, um in Situationen, die uns ärgern (nicht ausreichende Leistungen, Fehlverhalten, usw.) gut durchzukommen.

Leider „klappt“ nun aber in druckvollen Situationen das Hirn von außen nach innen weg und so geht uns zuerst die Frontalhirnintelligenz verloren. Sollte der Druck immer noch nicht verschwinden so können wir uns auch auf das Mittelhirn nicht mehr verlassen – und letztlich bleiben uns nur die Stammhirnoptionen. Und der aufmerksame Leser\die aufmerksame Leserin weiß nun, was wir damit anstellen können, nämlich nicht viel, was uns von kommunikativem Nutzen sein könnte!

Was ist also zu tun? Naja, dafür sorgen, dass das Frontalhirn am Steuer bleibt. Wie wir das tun können? Natürlich kann niemand eine Garantie abgeben, doch was Sie dem Frontalhirn in kritischen Gesprächssituationen anbieten können ist Struktur. Im sogenannten „4-Sprung-Modell“ sorgen Sie dafür, dass Sie selbst „Oberwasser“ behalten und verringern ebenso die Gefahr des Frontalhirnverlustes bei Ihrer\Ihrem GesprächspartnerIn.


„Haltegriffe“ für gelingende konstruktive Kritik

Die Struktur im „4-Sprung-Modell”:

  1. Beschreiben Sie die Tatsachen – möglichst objektiv, basierend auf Beobachtungen und Vereinbarungen, und weisen Sie auf den „Vereinbarungsbruch“ hin.
  1. Artikulieren Sie die (emotionale) Bedeutung: Was löst das bei 1. Beschriebene bei Ihnen aus?
  1. Weisen Sie darauf hin, welche\s Ihrer Bedürfnisse mittels des Vereinbarungsbruchs missachtet wurde\n und welche Konsequenz\en das nun wiederum für Sie hat.
  1. Artikulieren Sie klar, was nun ihr Wunsch bzw. Ihre Erwartung ist.

Ein Beispiel gefällig? Lassen Sie in unserem Eingangsbeispiel das Frontalhirn der Führungskraft sprechen:

  1. Ich habe heute von Ihnen einen Report bekommen, der nicht die vereinbarten Qualitätskriterien wie Schilderung der Problemsituation, Darlegung der Abweichung zu den Erfolgsindikatoren, Lösungsvorschläge zur Nachbesserung aufweist. Dies entspricht nicht der Vereinbarung, die wir im Zuge unseres Qualitätssicherungsprozesses definiert und akzeptiert hatten.
  1. Ich bin darüber irritiert und verärgert.
  1. Ich bin als Führungskraft dafür verantwortlich, dass Qualitätsstandards eingehalten werden und getroffene Vereinbarungen auch halten. Dazu gehört es auch, Reports zeitgerecht in der geforderten Struktur vorzulegen. Dies ist mir nun mit dem vorliegenden Papier nicht möglich. Würde ich es so vorlegen so würde ich selbst zum Vereinbarungsbruch gezwungen sein.
  1. Ich möchte daher, dass Sie dieses Dokument bis heute um 18 Uhr entsprechend unserer Maßstäbe überarbeitet haben und mir erneut vorlegen. Wie kann das sichergestellt werden?

Wie könnte der Erfolg des „4-Sprung-Modells“ erklärt werden?

  1. Es wurde nur aus der Eigenwahrnehmung gesprochen und auf Anschuldigungen verzichtet.
  1. Es wurden Beschreibungen, Bedürfnisse und Konsequenzen artikuliert – diese laden weniger zu „Aber, aber-Endlosschleifen“ ein.
  1. Es wurde ein klarer Auftrag zur Verbesserung gegeben und mit der Frage nach der Sicherstellung wiederum die\der GesprächspartnerIn zur Wahrnehmung ihrer\seiner Eigenverantwortung eingeladen.

Sie sind noch nicht so ganz überzeugt? Macht nichts! Könnte es vielleicht sein, dass noch kein diesbezügliches erfolgreiches Muster in Ihrem Mittelhirn abgerufen werden konnte? 😉

Anmerkung: Michaela Faulhammer, MAS ist als Organisationsberaterin, Coach und Mediatorin in unterschiedlichen Feldern tätig – sowohl in Österreich als auch international. Weitere Informationen finden Sie bei Interesse auf http://www.partners4.com

4 Antworten zu “Das Frontalhirn nutzen: Eine Anleitung für konstruktives Kritisieren

  1. Interessant, dass das hier Vier-Sprung-Modell heißt. Woher kommt das? Meiner Ansicht nach handelt es sich hier eins zu eins um die vier Grundprinzipien der gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg. Ich stimme zu, dass es sinnvoll ist, die hier anzuwenden – aber wieso unter dem Namen Vier-Sprung-Modell?

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    • Genau, könnte man auch so bezeichnen, die Frage ist für mich jedoch, ob hierfür irgendjemand guten Gewissens eine UrheberInnenschaft behaupten kann: Interessant ist nämlich, dass die gleiche „Schrittfolge“ sich ja bei sehr vielen verschiedenen Autorinnen und Autoren abbildet, etwa bei Carl Rogers, Friedemann Schulz von Thun, ja bei einer Fülle von Autorinnen und Autoren zum Thema „Feedback“ generell… somit spricht meines Erachtens nichts dagegen, „Vier-Sprung-Modell“ zu sagen, oder auch „konstruktives Feedback“, oder auch „Gewaltfreie Kommunikation“ (ein marktmäßig sehr erfolgreiches Etikett), oder wie auch immer. Vielleicht könnte am Ehesten noch Aristoteles ein „Recht“ behaupten, schreibt er doch darüber in der „Nikomachischen Ethik“ (Aristoteles: 384 bis 322 v. Chr.) ;-))

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  2. Roth sagt, das unser bewusstes Denken eher ein Notfall Programm ist. Das Gehirn ist eher auf Automatik aus.
    Daher möchte ich ergänzend zu dem Artikel, die Erkenntnisse der PSI Forschung nach Julius Kuhl und des „Zürcher Ressourcen Modells“ (TRM) einbringen.
    Demnach macht es viel Sinn, neben dem Frontallappen, sprich unserem bewussten Verstand, auch unsere unbewussten Kräfte für unser Denken und Handeln zu nutzen (besonders bei Veränderungen). Bilder und Metaphern können da die Brücke zwischen bewussten und unbewussten Kräften herstellen. Hypno und ähnliche Verfahren versuchen ja auch unbewusste und unwillkürliche günstige Muster zu aktivieren, um sie später automatisch zu aktivieren.
    Ich habe mit dem ZRM Modell, sprich der Entwicklung von „Haltungszielen“ sehr gute Erfahrungen bei meinen Klienten gemacht, neue Verhaltensweisen auch unter Druck und Stress eher zu aktivieren.
    Die PSI Forschung bringt den Unterschied zwischen „automatischer“ Erstreaktion und der Möglichkeit der Entwicklung einer situativ passenderen Zweitreaktion ein.

    Die Balance aus Verstand (Frontallappen) und der Aktivierung unserer „positiven“ unbewussten Kraftquellen, macht es aus meiner Sicht aus.

    Viele Grüße, Christoph Schlachte

    P.S. Hier eine prima Einführung zum Thema Mottoziele: http://www.majastorch.de/download/mottoziel.pdf

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